Weg 1 Tafel 3 Grundherren am Bocksberg
Übersichtskarte:Kulturwanderwege Markt Triefenstein
Mit Ausnahme der Jahre 1632-1634 übte das Chorherrenstift Triefenstein über 430 Jahre – von 1370 bis 1803 – die Grundherrschaft über Rettersheim aus. In diesen beiden Jahren des 30jährigen Krieges lag die Grundherrschaft beim Grafen von Wertheim, die ihm von der schwedischen Besatzungsmacht übertragen wurde.
Bereits 1284 kommt das Kloster zu erstem Besitz in Rettersheim: Der Homburger Burgmann Heinrich von Reinstein der Ältere verkauft sein Freigut (Allod) an die Chorherren. Das Gut wurde als Schafhof genutzt und verfügte über gut 150 Morgen Land (ca. 30 Hektar), teilweise mit bis zu 400 Schafen.
1370 übergab Kunz von Uzsenkeim (Uissigheim) – ebenfalls ein Homburger Burgmann – „den erbern Herren … dem Probst und den Canonikern zum Trieffenstein und iren Stifft gemeiniclich durch miner vlizzigen Bet willen alle die Gut, die ich zu Rettersheim bey Hohemburg gelegen gehabt hon, es sy Vogty, Hof, Gut oder Gült, clein oder groß, in Velde und in Dorff….“ Damit beginnt die alleinige Grundherrschaft des Klosters über das Dorf am Fuße des Bocksbergs. Dies bedeutet unter anderem, dass die niedere Gerichtsbarkeit (Vogtei) durch das Kloster ausgeübt wurde.
Bereits 1416 liefert das Triefensteiner Urbar (Grundbuch) A ein erstes Hofverzeichnis. Das Triefensteiner Urbar (Grundbuch) B von 1421 enthält die so genannten Gründungsnotizen für das Kloster. Darin heißt es unter anderem, dass sechs Huben Wald im Ort Heginberg (Heynberg), das ist vermutlich Rettersheim („Rettersheim ut estimatur“) sowie das Pfarrrecht dort dem Kloster zu seiner Erstausstattung übergeben werden. Beim Heginberg oder Heynberg handelt es sich um den Bocksberg, der damals noch bewaldet war. Heute lebt diese Bezeichnung im Flurnamen „Hämmerich“ am südlichen Abhang des Bocksbergs fort.
Um das Jahr 1735 ließ die Triefensteiner Propstei die klösterlichen Felder in Rettersheim vermessen. Aus dieser Vermessung sind ein vollständiger Dorfplan und eine detailgetreue Abbildung des Schafhofes überliefert. Mit der Säkularisation endet 1803 die enge Bindung Rettersheims an das Kloster Triefenstein.
Fotos:
– Ortsplan von Rettersheim von 1735, Chronik Rettersheim, S. 43 (Quelle: STAWt-F Z32/1995 Nr. 2; Fotos zum Einscannen vorhanden)
– Zeichnung vom Schafhof von 1735, Chronik Rettersheim, S. 214 (Quelle: STAWt-F Z32/1995 Nr. 2)
– Urkunde von 1370, Chronik Rettersheim, S. 176 (Quelle: STAWt-F Rep. 75 LXXXIXa; Foto zum Einscannen vorhanden)
Fotos:
– Ausschnitt aus dem Urbar (Grundbuch) B, Chronik Rettersheim, S. 205 (STAWt-F Rep. 75, Nr. 406, Urbar B, fol 258)
– Aufnahme der Hungerkreuze von 1938, Chronik Rettersheim, S. 205 (Quelle: Albrecht Knüttel; Foto elektronisch vorhanden)
Hungerkreuze
Nach einer Sage befand sich ein betagtes Ehepaar unter den Bewohnern Rettersheims, das durch Fleiß zu Wohlstand gekommen war. Auch die Kinder gehörten mit zu den reichsten Leuten in der Gegend. Doch über den Reichtum vergaßen sie, nach ihren Eltern zu schauen. Die Sage berichtet weiter, dass eine große Hungersnot herrschte. Nachbarn bemerkten nach einigen Tagen, dass die Haustüre beim betagten Paar verschlossen blieb. Trotz Pochens und Klopfens meldeten sich die Alten nicht. Also brachen die Nachbarn die Türe auf. Sie fanden die Eltern tot im Bett. Sie waren verhungert: Der Vater hatte faules Holz im Mund, die Mutter eine Handvoll Gras. Zur Sühne errichteten die Kinder die hier stehenden Hungerkreuze. Bis heute haben die Steinmale diesen Namen behalten.
Wie das Urbar (Grundbuch) B des Klosters Triefenstein belegt, befinden sich die Hungerkreuze mindestens seit 1421 hier: Dort heißt es „ … by den Crützen an dem Wertheimer Weg“.
Sie rahmen einen Bildstock aus dem Jahre 1487 ein, dessen Setzungsgrund unbekannt ist. Dieses steinerne Glaubenszeugnis ist einer der ältesten in Gänze erhaltenen Bildstöcke im Altlandkreis Marktheidenfeld.
Namensherkunft Rettersheim
Was bedeutet der Name „Rettersheim“?
Die Herkunft unseres Dorfnamens ist ebenso wie die Entstehung unseres Ortes nicht eindeutig zu klären. Fest steht, daß bereits die erste urkundliche Erwähnung 1284 Rettersheim nahezu identisch in seiner heutigen Schreibweise wiedergibt: „Retersheim“ heißt es in der Urkunde vom 18. März 1284. Dies hat sich in der Schriftsprache über die Jahrhunderte hinweg auch erhalten. Vereinzelt konnten wir geringe Lautabweichungen wie „Rettersheimb“, „Rettershaim“ oder „Reterßen“ finden, doch sind diese als unwesentlich zu betrachten.
Die günstige Lage des Ortes, an der Fruchtlandgrenze am Fuße des ehedem bewaldeten Bocksberges sowie die reichlich vorhandenen Wasserquellen machten den Standort für eine Siedlung sicherlich attraktiv. Da vor- und frühgeschichtliche Zeugnisse, mit Ausnahme eines Steinbeils aus der Jungsteinzeit, gänzlich fehlen, wird die Suche nach dem Gründer unseres Dorfes zudem erschwert.
Weiterbringen könnte uns hingegen die mundartliche Bezeichnung „Raddesche“ oder „Raddersche“. Das Altdeutsche Namensbuch gibt uns hierüber möglichen Aufschluß. Hinter dem Bestimmungswort „Radder“ oder „Retter“ könnte sich der Name „Radheri“ verbergen, was soviel wie „Ratgeber“ oder „Mann, der Rat gibt“ bedeutet (1). Sprachliche Abwandlungen der Grundform sind unter anderem „Rader“ oder „Rather“, was unserer Mundart nahe kommt. Die Endung „-heim“ deutet zwar auf „frühfränkische Staatskolonisation“ hin(2), wäre also zeitlich um den Beginn des Mittelalters anzusiedeln, doch gibt es hierfür keine Beweise. In der Regel wird die Endung an den Personennamen angehängt.
Wir wissen, daß sich Rettersheim im Besitz adeliger Herren, wahrscheinlich mehrerer, befand. Sein Rettersheimer Allodium (Freihof) verkaufte 1284 Heinrich von Reinstein der Ältere an das Kloster Triefenstein. Ein Allodium war ein freier Besitz, mit dem der Eigentümer nach eigenem Gutdünken verfahren konnte. Wie im Mittelalter üblich wurde er vom obersten Lehnsherrn an verdiente Untertanen, zumeist Adelige, verliehen, ohne daß das Gut mit Abgaben belegt war. Ob von Reinstein weitere Güter in unserem Dorf besaß, ist unbekannt. Doch auch die Wertheimer Grafen hatten Anteil an den Rettersheimer Höfen, wie das Precarienregister von 1359 zeigt. Erst 1370 gelangte das Dorf vollständig in Triefensteiner Hände, als der Homburger Amtmann Cuntz von Uissigheim es der Canonie vermachte.
Parallelen zu anderen Dörfern ähnlichen Namens können uns hier weiteren Aufschluß bringen.
Gaurettersheim im Ochsenfurter Gau ist erstmals 1130 urkundlich erwähnt. Auch bei diesem Ort geht man von einer frühfränkischen Siedlung aus, die möglicherweise germanische Vorläufer hatte(3).
Tauberrettersheim, das 1103 zum ersten Mal in einer Urkunde bezeugt ist, hieß der Überlieferung nach „Ratirsheim“. Es liegt zusammen mit sechs anderen Orten mit der Endung „heim“ zwischen Bad Mergentheim und Röttingen. Hier vermutet man ebenfalls eine Besiedlung durch die Franken zwischen dem 6.und 8. Jh. Hinter Tauberrettersheim steht wahrscheinlich der fränkische Personenname „Rathari“, der unserem „Radheri“ nahekommt(4).
Ähnlich sieht es auch bei dem Dorf Rettershain aus. Es wird erstmals 1260 als „Retirshagen“ urkundlich erwähnt. Bei diesem Ort geht die Forschung heute davon aus, daß sich „Retir“ ebenfalls um den Eigennamen „Radheri“ zurückführen läßt. In der Umgebung von Rettershain liegen weitere Dörfer mit der Endung „hain“ oder „rod“. Hier handelt es sich um Rodungsdörfer aus dem 11. und 12. Jh(5).
Fassen wir sämtliche Informationen zusammen, könnte unser Rettersheim demnach von einem Franken namens „Radheri“ angelegt worden sein, der zugleich Vorsteher dieser neuen Siedlung gewesen sein könnte. Die Franken siedelten ursprünglich in Weilern mit wenigen Häusern. Im Urbar B von 1421 liegt das Gut des Heintz Loßhart „unden in dem Wyler in der Hecken“. Diese Siedlungsbezeichnung könnte also ein weiterer Hinweis auf eine ursprüngliche fränkische Weilersiedlung sein, die zu dieser Zeit in der Überlieferung zumindest teilweise noch präsent gewesen sein könnte.
Wo exakt dieser Weiler anzusetzen ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Auf der von uns entworfenen ersten Ortsplanskizze von 1416 haben wir diesen Weiler an den heutigen Ortsausgang nach Trennfeld vermutet. Wann dieser Herr namens „Radheri“ gelebt haben mag, wird die Geschichte uns wohl nicht preisgeben.
Fotos:
(1) Förstemann, Ernst: Altdeutsches Namensbuch. 1. Band. Bonn u.a. 1900 (2), sp. 1214.
Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg, Nr. 10, S. 140.
(2) Störmer, Wilhelm: Historischer Atlas von Bayern. Marktheidenfeld. München 1962. S. 18.
(3) Freundlicher Hinweis des Bürgermeisters Floth, Gaurettersheim.
(4) Freundliche Unterstützung des Bürgermeisters Öchsner, Tauberrettersheim, der Auszüge aus der Ortsgeschichte von Tauberrettersheim zur Verfügung stellte.
(5) Freundlicher Hinweis von Herrn Otto Besier, Rettershain.